Eine Kollage aus drei Bildern. Links eine Detailaufnahme einer begrünten Fassade, in der Mitte die Cirkelbroen-Brücke in Kopenhagen und rechts das Freiburger Stadtviertel Vauban mit seinen bunten Häusern.

Nachhaltige Stadtentwicklung: Ideen für eine bessere Stadt.

Ob kulturell, wirtschaftlich oder gesellschaftlich – Städte faszinieren und ziehen viele Menschen an. Sie sind Innovationstreiber, Katalysatoren für Wirtschaftswachstum und bieten enorme Zukunftschancen. Doch dort, wo viele Menschen leben, wird es nicht nur eng, auch die Umwelt wird stärker belastet. Das stellt uns vor Herausforderungen und erfordert clevere Lösungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Doch was zeichnet diese aus, und welche Aspekte gilt es zu beachten? Hier erklären wir, worauf es ankommt, und stellen gelungene Beispiele vor.  

Der Begriff „nachhaltige Stadtentwicklung“ ist abstrakt. Wer verstehen möchte, was er konkret bedeutet, sollte nach Hamburg reisen. Hier, im Stadtteil Altona, steht an der Neuen Großen Bergstraße ein tristes Gebäude mit vorgelagerter Ladenzeile. Bis 2007 beherbergte das Ensemble unter anderem das Finanzamt des Bezirks. Dann zogen Kreativschaffende ein. 2019 übernahm die neu gegründete Baugenossenschaft „Neues Amt Altona“ das einstige Finanzamt. Der Plan: der Bau eines genossenschaftlich organisierten Co-Working-Spaces, der denen gehört, die dort arbeiten, und Platz bietet für Kreativschaffende sowie öffentliche Kultur- und Gastronomieangebote.

Mitbestimmung fördert nachhaltige Stadtentwicklung.

Christina Veldhoen, Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft „Neues Amt Altona“, sitzt an einem einfachen Holztisch im Erdgeschoss der einstigen Ladenzeile. Die großen Fensterfronten des ehemaligen Schuhgeschäfts bieten freien Blick auf das rege Treiben in der Fußgängerzone. Links neben Veldhoen steht ein Modell, das zeigt, wie es hier voraussichtlich im Sommer 2025 aussehen wird. Ausgestellt ist der geplante vierstöckige hölzerne Neubau mit begrünter Fassade. „Das ‚Neue Amt Altona‘ ist eine großartige Chance, eine nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern“, sagt Veldhoen, „denn hier entsteht ein Gebäude, von dem nicht nur diejenigen etwas haben, die darin arbeiten, sondern auch die Nachbarschaft.“ Es gehe nicht nur darum, bezahlbaren Büroraum zu schaffen. Das „Neue Amt Altona“ solle mit seinen öffentlichen Flächen für Gastronomie und Kulturveranstaltungen das Viertel bereichern und damit zu einem Ort für Begegnungen werden.

2018 hatte die Stadt Hamburg das Gebäude im Rahmen eines sogenannten Konzeptverfahrens ausgeschrieben. Veldhoens Mitstreiter Robert Beddies, Cornelius Voss, Julian Meisen und Hans von Bülow nahmen die Herausforderung an und erarbeiteten ein Konzept für das alte Finanzamt, das überzeugte. „So eine Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage“, sagt Veldhoen, „deswegen war es damals für das Team sofort klar, an dem Verfahren teilzunehmen und eine Idee zu entwickeln.“ 

Eine Kollage aus drei Bildern: oben links die begrünte Außenfassade des geplanten Neubaus des „Neuen Amt Altona“ in Hamburg, unten links der vierköpfige Vorstand der Baugenossenschaft und rechts ein Blick aus der Fußgängerzone auf die Fassade des Altbaus, der bald abgerissen werden soll.

Rechts die Außenfassade des „Neuen Amts Altona“. Noch sieht es hier ein wenig trist aus, doch bald wird dieses Gebäude einem Neubau mit begrünter Außenfassade weichen (oben links). Der Vorstand der Baugenossenschaft (Cornelius Voss, Feena Fensky, Robert Beddies und Christina Veldhoen, von links nach rechts) möchte den Neubau im Sommer 2025 eröffnen. 

Unter unseren Mitgliedern sind viele Menschen, die schon lange in Altona leben und die sich an der Gestaltung ihrer Nachbarschaft beteiligen möchten.

Keine Mieter:innen, sondern Co-Eigentümer:innen.

Was sieht das Konzept genau vor? Die alte Ladenzeile soll für den Neubau weichen, das alte Finanzamtsgebäude wird saniert. Alt- und Neubau werden über das Erdgeschoss miteinander verbunden. Außerdem werden die Mietverträge der Kreativschaffenden, die bisher hier ihre Räume hatten, zu denselben Kondition um 20 Jahre verlängert. „So entsteht im neuen Gebäude ein moderner Co-Working-Space, im alten Gebäude können wir einen etablierten Kreativstandort erhalten und im Erdgeschoss verschiedene Menschen zusammenbringen“, sagt Veldhoen.

Der Kern des Ganzen und ein wichtiger Pfeiler der Finanzierung ist aber, dass der Co-Working-Space im Neubau Eigentum der Genossenschaft ist. „Damit sind die lokalen Unternehmer:innen, die sich hier einmieten, keine Mieter:innen im klassischen Sinne. Sie sind Co-Eigentümer:innen“, erklärt Veldhoen. Das bedeute natürlich auch, dass sie bei der Gestaltung des Neubaus mitbestimmen – darüber, wie Dachterrasse und Gemeinschaftsräume aussehen sollen, und noch vieles mehr. Dabei unterscheidet die Genossenschaft zwischen nutzenden und investierenden Mitgliedern. Letztere unterstützen das „Neue Amt Altona“ mit ihren Anteilen, ohne den Neubau selbst zu nutzen. „Unter unseren Mitgliedern sind viele Menschen, die schon lange in Altona leben und die sich an der Gestaltung ihrer Nachbarschaft beteiligen möchten“, erläutert Veldhoen.

„Die Genossenschaft wirbt kontinuierlich um neue Mitglieder und freut sich über alle, die sich beteiligen möchten.“ Im Hamburger Westen entsteht damit nicht einfach nur ein weiteres Bürogebäude. „Wir wollen eine Gemeinschaft aufbauen, die sich gegenseitig inspiriert und sich über Ideen zur Zukunft der Stadt austauscht“, sagt Veldhoen. Nicht selten erhalten Investoren den Zuschlag für städtische Gebäude in dieser Größenordnung. Im Fall des ehemaligen Finanzamts hat sich die Hansestadt entschieden, das Gebäude in die Hände engagierter Bürger:innen zu geben.

Bild des Gebäudes Kö-Bogen II in Düsseldorf, dessen Außenfassade mit Buchenhecken begrünt ist.

Zur Straße hin präsentiert sich das Düsseldorfer Gebäude Kö-Bogen II mit einer Glasfassade. Nach hinten raus wird’s grün. Acht Kilometer Buchenhecke bestehend aus rund 30.000 Pflanzen begrünen die rückseitige Fassade des Neubaus. Sie haben die Aufgabe, das Mikroklima der Stadt zu verbessern und die Biodiversität zu fördern. Eine Idee von vielen, die europaweit Aufmerksamkeit erregt.  

Erfolgsfaktoren der nachhaltigen Stadtentwicklung.

Wie kann eine nachhaltige Stadtplanung gelingen, und woran lässt sich das fest machen? Zum Beispiel anhand folgender Punkte, die sich den Bereichen Wirtschaft, Ökologie und Soziales zuordnen lassen. Eine Übersicht.
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Wo viele Menschen eng zusammenwohnen, bleibt nicht viel Platz für die Natur. Daher ist ein wichtiger Aspekt der nachhaltigen Stadtentwicklung der ökologische. Wie also große Städte lebenswerter werden können, indem die Planung unter anderem ausreichend Grünflächen mitdenkt, berücksichtigt, was mit dem Müll passieren soll und wie sich die Luftqualität verbessern ließe.
  • Die Auswirkungen von Natur in der Stadt sind vielfältig. Sie nehmen positiven Einfluss auf die Luftqualität und auf das Klima. Pflanzen in Parks und in vertikalen Gärten bieten Lebensraum sowie Schutz für Tiere und tragen zur Biodiversität bei. Daher berücksichtigt eine nachhaltige Stadtentwicklung immer auch die Integration von Natur im urbanen Raum.
  • Wenn es immer mehr Menschen in die Städte zieht, ist es auch nötig, sich über die Lebensmittelversorgung Gedanken zu machen. „Urban Farming“ (urbane Landwirtschaft) ist ein Konzept, das in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Dabei werden im großen Stil Dächer, Fassaden und Terrassen für den Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern genutzt.
  • Durch enge Bebauung kann ein sogenannter Wärmeinseleffekt entstehen. Denn bei hohen Temperaturen speichern Beton und Asphalt die Hitze. In Frisch- und Kaltluftschneisen zirkuliert die von Grünflächen in die Stadt geleitete Luft besser und sorgt für Erfrischung. So entschied man sich In Berlin gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes, um über diese freie Fläche kühlere Luft in die Stadt zu bringen. 
  • Mehr Menschen verursachen in der Regel auch mehr Abfall. Müllreduktion- und -trennung, Kompostierung sowie Recycling gehören zu einer effizienteren Entsorgungswirtschaft. Wie das gut gelöst werden kann, zeigt die Müllverbrennungsanlage „CopenHill“ in Kopenhagen. Diese verarbeitet nicht nur jährlich rund 440.000 Tonnen Abfall zu sauberer Energie, sondern dient den Stadtbewohner:innen mit einer Skipiste auf dem Dach auch als Naherholungsgebiet.  
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Zu einer nachhaltigen Stadt gehört außerdem eine stabile Wirtschaftsstruktur und ein achtsamer Umgang mit Energie und Ressourcen. Also genug Arbeit für alle und Ideen, die Kosten sparen.

 
  • Eine veraltete öffentliche Beleuchtung in Städten kann den Energieverbrauch in die Höhe schnellen lassen. Deswegen ist dieses Problem vielerorts angegangen worden. Öffentliche Gebäude und Anlagen wie Sport- und Parkplätze erhielten eine energiesparende und bedarfsorientierte LED-Beleuchtung. In London gibt es zum Beispiel in den Stadtteilen Barking und Dagenham „intelligente“ Laternen, die nicht nur die Energiekosten senken, sondern auch die Qualität des Mobilfunknetzes unterstützen.
  • Brachliegende Flächen, Leerstand und Baulücken – in einer nachhaltigen Stadt machen sich die Menschen vermehrt Gedanken zu einer Um- und Zwischennutzung. So lässt sich nicht nur mehr Wohnraum schaffen, es entstehen auch neue Orte, an denen sich Kreativ- und Kulturschaffende begegnen können. 
  • Ein Anstieg der Bevölkerung bedeutet auch, dass es mehr Arbeitsplätze geben muss. Städte und urbane Ballungsgebiete stehen damit vor der Herausforderung, ein attraktiver Standort gleichermaßen für Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen zu sein. Hier kann sich etwa die Förderung von mittelständischen Unternehmen oder von zukunftsweisenden Projekten positiv auswirken.  
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Zu einer gerechten Gesellschaft gehört, dass alle Menschen Zugang zu Ressourcen haben und keine übergroße soziale Ungleichheit besteht. Deswegen hat nachhaltige Stadtentwicklung immer auch eine soziale Komponente.
  • Mehr Menschen in der Stadt führen zu weniger Wohnraum und zu teureren Mieten. Daher braucht es innovative und architektonische Lösungen, die der Bevölkerung zusätzlichen Wohnraum bieten und, dies vor allem, bezahlbare Mieten für alle Einkommensgruppen schaffen.  
  • Bildungseinrichtungen sollten für alle zugänglich sein, so ist es möglich, Ungleich-heiten im urbanen Raum wenn nicht aufzuheben, so doch zu verringern. Ebenso ist der Aspekt der Barrierefreiheit und Inklusion mitzudenken. 
  • Die Schaffung sozialer Treffpunkte (Sport, Kultur, Bildung) ist elementar, damit jede:r unabhängig vom Einkommen daran teilhaben kann.  
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Mit gutem Beispiel voran.

Diese europäischen Städte sind vorbildhaft in Sachen nachhaltige Stadtentwicklung:

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Bis 2025 will die dänische Metropole die erste klimaneutrale Hauptstadt weltweit sein – auf dieses Ziel wurde lange hingearbeitet. Eigenen Angaben zufolge konnte die Stadt ihre CO2-Emissonen seit 2009 bereits um 80 Prozent reduzieren. Dies reicht jedoch nicht aus, um 2025 Klimaneutralität zu erreichen. Für die Reduktion von Emissionen fokussiert sich die Stadt auf drei Bereiche: Energieverbrauch, Energieproduktion und grüne Mobilität.
Fahradfahrer:innen auf der Kopenhagener Cirkelbroen-Brücke.
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Die Studentenstadt im Südwesten Deutschlands gilt als Vorreiterin der ökologischen Stadtentwicklung. Hier gibt es verschiedene wegweisende Bauprojekte, die als besonders klimafreundlich gelten. So ist das Rathaus das erste öffentliche Netto-Nullenergie-Gebäude Europas: ein Bau, der mehr Energie erzeugt als er letztendlich verbraucht und dessen Überschuss dem Stadtnetz zugutekommt. Ein weiteres ökofreundliches Bauwerk ist das Drehsolar-Haus „Heliotrop“, das sich um die eigene Achse dreht. So sind die Solarmodule auf dem Dach immer zur Sonne hin ausgerichtet. Unweit des sonnenfixierten Hauses befindet sich auf einem ehemaligen Kasernengelände der familienfreundliche, verkehrsberuhigte und auf Nachhaltigkeit setzende Stadtteil Vauban. Auch die Häuser der Solarsiedlung produzieren mehr Energie, als sie verbrauchen.
Eine Detailsaufnahme der bunten Häuser des Viertels Vauban in Freiburg.
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Wenn es um Elektromobilität geht, sind die Niederlande weit vorn: 2022 gab es in keinem anderen Land Europas mehr öffentliche Ladestationen als hier. Besonders vielversprechend ist die Situation in Rotterdam. Die App „Electromaps“ zeigt 7.800 öffentliche Ladestationen an. Doch die Bewohner:innen sollen nicht nur besonders umweltfreundlich unterwegs sein, sondern auch so wohnen. Das Neubauprojekt „Little C“ ist ein Quartier am Rotterdamer Coolhaven, bestehend aus 15 Gebäuden. Es demonstriert, wie sich urbane Verdichtung auf kleiner Fläche unter Berücksichtigung einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft sozial- und umweltverträglich im Austausch mit den Bewohnern umsetzen lässt.
Eines der insgesamt 15 Gebäude des Neubauprojekts „Little C“ am Rotterdamer Coolhaven.

Autor: {Ricarda Twellmann} / Fotos: {Imago Images/Jochen Tack (2), Adam Eastland/Huber Images, FWTM-Schoenen, Common Agency, Lisa Notzke, Jonas Larbalette, Andreas Meichsner/The New York Times/Redux/Laif, FWTM-Spiegelhalter, Mauritius Images/Nick van Meurs/Alamy)}