Grenze war gestern Grenze war gestern
Zukunft

Grenze war gestern

Willkommen in OFFFM: der neuen Supermetropole am Main, zusammengewachsen aus Frankfurt und Offenbach. Kuschelkurs oder Rivalität? Wir haben uns in Offenbach umgehört.

Draußen vor dem OFOF, an einem Straßenschild, klebt ein „FCK FFM”-Sticker. Drinnen im Café sitzen junge Leute, teils mit ihren Kindern. Es ist Mittagszeit, unter der Woche, und hier herrscht eine entspannte Stimmung bei Kaffee mit Hafermilch, Ingwer-Basilikum-Schorle und Sandwiches mit Humus. Das OFOF gibt es seit zwei Jahren, und es könnte auch in Frankfurt-Bornheim oder Berlin-Kreuzberg sein. Aber es befindet sich in Offenbach.

„Ich will mit dem OFOF einen Beitrag dazu leisten, die Stadt schöner zu machen“, sagt der Inhaber Engin Efe. Vor zehn Jahren ist er nach Frankfurt gekommen, immer in Offenbach ausgegangen, hat Kommunikationsdesign studiert. Dann hat er „sein Wohnzimmer für alle“ in der Ludwigstraße eröffnet.

Am OFOF kann man viel ablesen. Doch vor allem, dass Frankfurt und Offenbach zusammen wachsen. Die Gäste: Kreative und junge Leute, die an der Hochschule für Gestaltung Offenbach Design oder Kunst studieren oder die in Offenbach wohnen, weil hier der Wohnraum im Vergleich zum mietpreiswuchernden Frankfurt noch einigermaßen bezahlbar ist. Mit der S-Bahn dauert es 12 Minuten, mit dem Fahrrad ist man am Main entlang in circa 20 Minuten in der Frankfurter Innenstadt. Die durchlässigen Grenzen und der Austausch zwischen den beiden Nachbargemeinden kratzen jedoch an einer Tradition: die alte Städtefeindschaft Offenbach – Frankfurt. Sie ist noch längst nicht passé.

Auch wenn die Rivalität oft auf die Feindschaft der Fußballclubs Kickers Offenbach und Eintracht Frankfurt zurückgeführt wird, sind es doch wohl die großen Kontraste von Wohlstand und Herkunft, die die beiden Städte voneinander trennen. Während Frankfurt mit Hochhäusern und Alter Oper glänzt, sind es in Offenbach Migranten, Dönerbuden und ein kunterbuntes Miteinander. Hier Glamour, dort Bazar. Offenbach hat mit 37 Prozent einen der höchsten Anteile an ausländischer Bevölkerung bundesweit. 60 Prozent haben Migrationshintergrund, während hier 158 Nationen Tür an Tür leben.

Vor allem mittelältere Frankfurter rümpfen die Nase, wenn die Sprache auf Offenbach kommt. „Meist aus Ignoranz“, wie Engin vom OFOF sagt. Die meisten von ihnen hätten sich nie lange in Offenbach aufgehalten. Die, die schon seit Jahren in den Elektro-Club Robert Johnson oder das Kunst-Kultur-Zentrum Hafen 2 gehen – zwei Orte, die genau an der Grenze, am Main, liegen –, wissen es besser. 2016 beteiligte sich der Hafen 2 an der Aufnahme von Flüchtlingen, die in unmittelbarer Nachbarschaft in Lagern angesiedelt wurden: Man organisierte Familienfeste und Filme auf arabischer Sprache. In Offenbach findet man sie noch, die Off-Locations mit alternativem Charakter – etwas, was in Frankfurt auf dem Rückzug ist.

„Offenbach braucht Frankfurt – wegen Jobs, Hochkultur, zahlungskräftiger Kundschaft. Genauso wie Frankfurt Offenbach braucht, und zwar wegen Personal für den Flughafen, Subkultur, Kreativbranche und Wohnungen“, sagt Anna Scheuermann. Die Architektin hat 2016, als die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, zusammen mit den Machern vom Deutschen Architekturmuseum den Beitrag „Making Heimat“ zur Architekturbiennale in Venedig kuratiert und sich dabei auf Offenbach als „Arrival City“ konzentriert. Unter dem Hashtag #Offenbachisalmostalright hat Scheuermann ein positives Bild von der Stadt zeigen können. „Hier wird man schnell aufgenommen“, sagt Scheuermann. Offenbacher seien authentisch, alle per Du, jeder hilft hier jedem. Wo gibt es das in Frankfurt?

Doch das Zusammenwachsen der beiden Städte brauche noch Zeit, sagt die Kuratorin. Auch wenn die Entwicklung der Hafeninsel schon viel geholfen hat. In den vergangenen Jahren als Wohngebiet mit Schule, Kindergarten, Gastronomie und Arbeitsmöglichkeiten erschlossen, ist sie das neue Glanzstück Offenbachs. Viele Frankfurter haben sich hier mittlerweile niedergelassen. Bald will die HfG Offenbach, die sich noch im Mathildenviertel befindet, hier herziehen. Das Viertel hat sich schnell entwickelt: Der Hafenplatz mit seinen Cafés, den Wasserspielen, ist immer belebt. Am blauen Kran, ein Überbleibsel aus der Ölhafenzeit und quasi das Markenzeichen von Offenbachs Transformation, kommt wohl keiner vorbei, vor allem nicht die Fahrradpendler zwischen Offenbach und Frankfurt: Rund 2.700 Radfahrer pendeln hier am Tag entlang, im Jahr sind es knapp 550.000.

Unweit vom Hafen befindet sich das nächste Stück Offenbach, das mit Frankfurt verschmilzt: die Kaiserlei. Bekannt als Verkehrsknotenpunkt und Zubringer der Autobahn A 661, die die beiden Städte trennt, entsteht hier ein gemischtes Quartier mit Gewerbe und Wohnen. Dafür wird die gesamte Verkehrsführung umgearbeitet – der Kaiserleikreisel, in dem es in den 1990er Jahren illegale Raves gab, wird in eine Doppelkreuzung transformiert, um dem ständig steigenden Verkehrsaufkommen Herr zu werden. Das Projekt wird großzügig von der Stadt Frankfurt mitfinanziert. Offenbach ist nämlich pleite und steht unter dem Rettungsschirm des Landes Hessen.

Doch es gibt auch nachdenkliche Stimmen zur Hafeninsel, zum Kaiserlei-Projekt, zum neuen OFFFM. Etwa von Maziar Rastegar. Der Iraner ist seit 1981 in Offenbach. „Früher haben wir noch die Deutschen gezählt, die bei uns vorbeigekommen sind“, erzählt der Designer und Unternehmer. Er liebt seine Heimatstadt so sehr, dass er ihr eine Schrift mit dazugehöriger Modekollektion gewidmet hat. Der Schriftzug „Offenbach Neue“ auf seinen T-Shirts lehnt sich an die Deutsche Werkschrift von Rudolf Koch an, die der Typograf 1934 in Offenbach erfunden hat. Dabei ist das B arabisch inspiriert. Dass Maziar von Frankfurter Kreativen kopiert wurde, die ein Frankfurt-Shirt mit arabischer Anmutung kreiierten, sei nicht gerade die feine Art.

„Mittlerweile sage ich: Das Zusammenwachsen hat nicht nur positive Seiten.“ Klar, er liebe den Hafenplatz, aber der entwickle sich langsam auch zu einer verschlossenen Gemeinschaft. „Ganz ehrlich, das ist wie in Berlin-Kreuzberg, hier geht es um Verdrängung.“ Offenbach empfängt in der Tat Immobilieninvestoren aus Frankfurt und anderswo mit offenen Armen. So entstehen hochpreisige Wohnungen, die sich der durchschnittliche Offenbacher nicht mehr leisten kann. Gerne werden die Wohnungen außerdem mit dem Hinweis auf Frankfurt angepriesen: Die Wohnungen, die in den ehemaligen Siemens-Gebäuden an der Kaiserlei entstehen, heißen „New Frankfurt Towers“ – obwohl sie auf der Offenbacher Seite liegen. „Wir stellen ja auch keine ‚New Offenbach Towers‘ in Frankfurt auf“, sagt Maziar. „Das ist schon Annexion.“

Auch Osman Göverin, der Inhaber der Stop & Go Nerds Cantina in Offenbachs Innenstadt kann ein Lied von der Gentrifizierung seiner Stadt singen. Immer wieder kommen Frankfurter und fragen ihn nach einer Wohnung. Die Neuzugezogenen sehe man hauptsächlich morgens, wenn sie sich einen Coffee-to-go holen und damit in die S-Bahn steigen. Abends gehen sie direkt nach Hause, sagt Osman. Die Innenstadt profitiere so gut wie kaum davon – man sehe weiterhin vor allem Dönerbuden, Wettbüros, Shisha-Bars und Nagelstudios. Osman hofft noch auf den großen Aufschwung.

Schaut man genauer hin, kann man die Transformation schon erkennen: Ob an Läden wie dem OFOF, an Treffpunkten wie dem Markt auf dem Wilhelmsplatz oder dem Goetheplatz, wo man Lebensmittel direkt vom Erzeuger kaufen kann, den Läden an der Bernardstraße. Gerade haben sich ein paar HfGler zusammengetan und einen Offenbacher Kunstverein gegründet, das Mañana Bold. Und dass man in Offenbach genauso, wenn nicht noch besser ausgehen kann, als in Frankfurt, ist eh schon lange bekannt. Der Takt dabei ist aber ein anderer – während in Offenbach ein junges Stadtmagazin sich „Mut & Liebe“ nennt, heißt es mainabwärts: „Frankfurt du bist so wunderbar“. Es bleibt zu hoffen, dass Offenbach nicht eines Tages zu einem Vorort von Frankfurt wird, dass Offenbach seinen Charakter behält. Denn hier wird alles integriert und herzlich aufgenommen – selbst Frankfurt(er).

Text: Martina Metzner