Eine Bildercollage, die Motive von nachhaltigen Projekten wie Oosterwold, Bunker St. Pauli und CopenHill zeigt.

Ab in die Zukunft: Drei urbane Nachhaltigkeitsprojekte mit Vorbildcharakter.

Es ist keine brandheiße Neuigkeit: Die Bebauung in den Städten wird immer dichter, die Räume für Naherholungsgebiete und Lebensmittelanbau schwinden und damit sinkt die Lebensqualität. Darüber hinaus wirken sich Verdichtung und erhöhtes Verkehrsaufkommen negativ auf das Klima aus. Viele europäische Städte und Metropolregionen machen sich schon längst Gedanken dazu. Das Ergebnis sind kreative Projekte, die inspirieren. Hier stellen wir drei davon vor.

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1. Bunker St. Pauli: Großstadtdschungel im wahrsten Sinne des Wortes.

Motiv, wie ein Baum mit dem Kran auf das Dach des Bunker St. Pauli transportiert wird.
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„HOLT DIE NATUR IN DIE METROPOLEN!“

Betonklotz trifft auf Betonwüste – noch vor einiger Zeit hätte diese Beschreibung für den alten Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld im Hamburger Stadtteil St. Pauli den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn seit 1942 prägt der karge Koloss das Stadtbild des Viertels. Fast 80 Jahre lang ragte er trist in den Himmel. Damit ist jetzt Schluss!

Seit 2019 wurde der Bunker um fünf pyramidenartige Etagen nach oben erweitert, und zurzeit entsteht dort ein spektakulärer Dachgarten. Der grüne Bunker soll die stetig wachsende Hafenmetropole Hamburg lebenswerter machen – und ist gleichermaßen ein Experiment für eine bessere Klimaanpassung. Denn in den kommenden Jahren sollen wissenschaftliche Daten zu Wärmespeicherung, Verdunstungsprozessen und Biodiversität erhoben werden.

Frank Schulze, Projektsprecher des Bunker St. Pauli, hat uns mehr darüber erzählt.

Aussenmotiv vom Bunker St. Pauli, wie er in den blauen Himmel Hamburgs ragt; Nahaufnahme der Außenfassade des Bunker St. Pauli, zu sehen sind Rankhilfen und Bäume; Blick vom Bunker St. Pauli auf die Millionenstadt Hamburg.

Grünes Wahrzeichen für Hamburg: Auf dem Bunker St. Pauli erwartet die Besucher:innen nicht nur ein phänomenaler Dachgarten. Sie haben auch einen beeindruckenden Ausblick auf die Millionenmetropole Hamburg.

Herr Schulze, welche Herausforderungen gibt es bei der Verwirklichung der Begrünung des Bunker St. Pauli?
Eine der Herausforderungen beginnt bei der praktischen Umsetzung: Jeder Baum muss mit dem Kran auf 58 Meter Höhe transportiert werden. Dort oben haben wir, je nach Himmelsrichtung, ähnliche Bedingungen wie auf einem Berg. Wind, Regen, Hitze – für diese Wetterlagen haben wir standortgerechte Pflanzen wie Bergkiefern oder Wacholder ausgewählt. Robuste Gehölze, die meist im alpinen oder im nordeuropäischen Raum beheimatet sind und mit klimatischen Schwankungen gut zurechtkommen.

Inwiefern kann sich das Projekt positiv auf das Klima in Hamburg auswirken?
Hitzewellen, Dürren, Starkregen und Luftverschmutzung betreffen besonders auch Millionenmetropolen. Es wird immer wärmer, und es wird immer trockener. Das liegt auch daran, dass wir immer mehr Vegetation verlieren, auch in Deutschland. Diesen erheblichen Flächenverlust müssen wir kompensieren. Mitten in St. Pauli entstehen mehr als 10.000 Quadratmeter neue Grünfläche, mit 4.700 Pflanzen und 16.000 Stauden.

Wie hilft die Begrünung den Stadtbewohnern denn konkret?
Die Bepflanzung kühlt das Gebäude im Sommer durch Verdunstung und dient im Winter als Wärmedämmung. Zudem wirkt sie wie ein Schwamm und entlastet die öffentliche Kanalisation hier um bis zu 80 Prozent, was wichtig ist bei den häufiger zu erwartenden Starkregenereignissen. Dabei setzen wir mit dem grünen Bunker die Forderungen des Weltklimarats um: Holt die Natur in die Metropolen! Keine Betonwüsten mehr, sondern Schwammstädte mit Gründächern, die große Niederschlagsmengen speichern und aufgeheizte Städte kühlen.

Und wie können andere Metropolen von dem Projekt lernen?
Der Bunker St. Pauli wird privat finanziert, gleichzeitig wird er zum Labor für die Welt. Denn um die Effekte einer Begrünung exakt zu belegen, haben Experten der TU Berlin im gesamten Bunker rund 80 Sensoren mit circa 200 Datenpunkten installiert. Sie erfassen zusätzlich zu den diversen Daten aus der Gebäudeleittechnik fünf Jahre lang Daten zu Verdunstungskälte und Wärmedämmung. Die Erkenntnisse über die Wirkung auf das Gebäude und das Mikroklima im Stadtviertel werden ausgewertet und können dann künftigen Vorhaben zur Verfügung gestellt werden.

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2. Oosterwold: Dort, wo Urban Gardening verpflichtend ist.

Mo0v von einem Garten in Oosterwold, Almere. Im Vordergrund ist ein Kuppelgewächshaus zu sehen; Mo0v von zwei Häusern in Oosterwold, Almere. Sie haben eine dreieckige Form; Mo0v von einem länglichen Holzhaus mit Garten in Oosterwold, Almere; LuSaufnahme von einem bebauten und bewirtschaSeten Stück Land in Oosterwold, Almere.

Egal ob flach, hoch oder spitz: In Oosterwold dürfen die Bewohner:innen ihr Traumhaus so bauen, wie sie es mögen. Einzige Bedingung dafür ist, dass auf mindestens 50 Prozent ihrer Fläche Urban Gardening betrieben werden muss.

Das Diagramm symbolisiert bildhaS, wie sich die Flächen vergrößern, wenn sich mehrere Personen zur gemeinsamen Flächennutzung zusammentun.
Wer mag kann sich auch mit anderen zusammentun und gemeinsam wohnen. Ihre Flächennutzungsauflagen werden dann zusammengefasst, so dass die Gesamtanteile der Flächennutzung im gesamten Projekt gleich bleiben.

Mo0v eines Holzhauses mit Garten. Auf dem Dach des Hauses wurden Solarmodule angebracht.
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Wo noch vor etwa zwölf Jahren ein großer Kartoffelacker war, ist inzwischen eine Siedlung entstanden, die in Sachen Stadtplanung ihrer ganz eigenen Vision folgt. Etwa 30 Kilometer von Amsterdam entfernt liegt Oosterwold – ein Paradebeispiel für stadtnahes und nachhaltiges Wohnen der Zukunft. Alle, die in diesem Teil der Gemeinde Almere leben, dürfen ihre Häuser ganz nach ihren persönlichen Vorstellungen bauen. Bis zum Jahr 2033 sollen es, so der ursprüngliche Plan, insgesamt 15.000 sein. „Es ist ein Ort, an dem die Bewohner:innen die Freiheit genießen, ihren eigenen Lebensraum zu definieren. Zu bauen, was immer sie wollen, in jeder Form, die ihnen gefällt, und zu entscheiden, wie sie den öffentlichen Raum nutzen“, sagt Stephan Boon. Er ist Stadtplaner und Partner beim Architektenbüro MVRDV, das das innovative Stadtplanungs-Projekt Almere Oosterwold entwickelt hat. Die einzige Bedingung: auf mindestens der Hälfte jedes Grundstücks muss Platz sein für urbanes Gärtnern. So entstehen etwa 1.800 Hektar städtische landwirtschaftliche Nutzfläche.

Die Oosterwolder bauen also saisonales Obst und Gemüse in Eigenregie an. „Das kann vom Tomatenanbau in selbstgebauten Gewächshäusern bis zum Anbau von Grünkohl in Gärten reichen. Einige Bewohner haben sogar Ställe gebaut, um Kühe auf ihrem Land zu halten“, sagt Boon. Darüber hinaus ist die Coöperatie Stadslandbouw Oosterwold entstanden, eine Gemeinschaft, deren Mitglieder die auf der eigenen Fläche erzeugten Lebensmittel auf dem lokalen Markt verkaufen. Ziel der Gemeinde ist es, künftig zehn Prozent ihres gesamten Lebensmittelbedarfs mit Produkten aus Oosterwold zu decken.

In der Regel kontrollieren die zuständigen Behörden in den Niederlanden sehr stark die Stadtplanung. In Oosterwold ist das anders. „Es geht darum, sich von staatlicher Kontrolle zu lösen und ein organisches Stadtwachstum zu fördern. Die Bewohner:innen sollen eigeninitiativ ihre eigenen Stadtviertel gestalten – mit öffentlichen Grünflächen, Energie-, Wasser- und Abfallmanagement, städtischer Landwirtschaft und Infrastruktur“, sagt Boon. Bewohner:innen haben also große Entscheidungsfreiheit, was Hausbauprojekte und die Gestaltung der Infrastruktur angeht. Sie sind verantwortlich von der Planung über die Finanzierung bis zum Bau, und sie organisieren all das selbst – ganz ohne politische Entscheidungsträger. Die perfekte Mischung aus Freiheit und Eigenverantwortung.

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Ausschnitt einer Skizze, die eine Bebauung in Oosterwold zeigt.

NACHHALTIG UND AUTARK LEBEN.

Oosterwold ist ein Stadtteil im Osten von Almere. Übrigens ist Almere die jüngste und am stärksten wachsende Stadt der Niederlande.

Das niederländische Architekturbüro MVRDV begann 2011 mit den Planungen zu dem nachhaltigen und visionären Projekt. Zwei Jahre später wurde es von der Gemeinde Almere genehmigt und 2016 mit dem Bau der ersten Häuser begonnen. Mittlerweile sind 3.610 Bewohner und 1.412 Häuser registriert (Stand 01. Januar 2023).

Das Areal erstreckt sich auf über 4.300 Hektar.

Die erste Grundschule wurde 2022 eröffnet. Ebenso gibt es eine Kindertagesstätte und Bildungseinrichtungen, in denen schon die Kleinsten mit der Natur und Landwirtschaft in Berührung kommen.

Die Menschen, die hier leben, bestimmen, wie ihre Nachbarschaft aussehen soll. Und so gibt es neben einer Bäckerei und einem Supermarkt auch Bed & Breakfasts, Yogaschulen, Gärtner, Imker und Hundefriseure.

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3. CopenHill: eine Müllverbrennungsanlage als Naherholungsgebiet.

Bild von jemandem, der den CopenHill in Kopenhagen auf Skiern herunterfährt.
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Skifahren selbst bei Temperaturen über 30 Grad und das mitten in der Stadt. Was ziemlich verrückt und unrealistisch klingt, ist in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen Realität. Zehn Minuten von der Innenstadt entfernt liegt Amager Bakke, auch bekannt als CopenHill: Eine 85 Meter hohe Müllverbrennungsanlage, auf deren Dach quasi ein innerstädtisches Skigebiet entstanden ist.

Der Stararchitekt Bjarke Ingels hat dieses Projekt mit seinem Architekturbüro BIG entwickelt und realisiert. Es zeigt, wie das Leben in Städten lebenswerter und gleichzeitig nachhaltiger werden kann. Wer mit dem Lift auf den CopenHill gefahren ist, blickt von der „Bergspitze“ aus auf die Skyline von Kopenhagen und den Øresund. Die Skifahrer:innen wedeln auf grünen Matten die 450 Meter lange Piste herunter. Aber auch diejenigen, die lieber zu Fuß unterwegs sind, kommen auf ihre Kosten. Sie können oben zwischen Bäumen und Blumen umherwandern.

Skizze vom CopenHill, von oben dargestellt; Bild vom CopenHill, in seiner urbanen Umgebung fotografiert; Bild vom Inneren der Müllverbrennungsanlage Amager Bakke, auch als CopenHill bekannt.

Im Inneren eine Müllverbrennungsanlage, von außen ein grüner Skihügel nicht weit vom Zentrum entfernt: „CopenHill“ nennt sich diese spektakuläre Skipiste in Dänemarks Hauptstadt.

Der Gedanke, dass hier oben auf der Müllkippe nicht unbedingt frische Bergluft weht, liegt nahe. Doch unter dem abgeschrägten grünen Dach ist hochfortschrittliche Technik verbaut, die nicht nur Gerüche filtert, sondern auch Stickoxide, Schwermetalle, Schwefel und Feinstaub aus dem Rauch zieht. Darüber hinaus werden in der Anlage im Jahr rund 440.000 Tonnen Abfall zu sauberer Energie verarbeitet. Aktuell beziehen so mittlerweile etwa 150.000 umliegende Haushalte Strom und Fernwärme.

CopenHill stellt plakativ unter Beweis, wie in dicht bebauten Städten künftig die Lebensqualität steigen könnte. Die Müllverbrennungsanlage integriert sich selbstbewusst ins Stadtbild und wird auf ganz unterschiedliche Art und Weise genutzt. Kaum eine andere europäische Stadt ist so vorbildhaft, wenn es um die Verfolgung von Klimazielen geht. CopenHill soll auf Kopenhagens Ziel einzahlen, bis 2025 CO2-neutral zu werden.

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Skizze der Kopenhagener Skipiste CopenHill, die sich auf einer Müllverbrennungsanlage befindet.

Bjarke Ingels zählt mit seinem Architekturbüro „BIG“ (Bjarke Ingels Group) zu den progressivsten Gestaltern unserer Zeit. Die Realisierung von internationalen Museen, Konzerthallen und Restaurants im ganz großen Stil zählt ebenso zu seinem Repertoire wie die Entwicklung urbaner und moderner Wohnformen für den sozialen Wohnungsbau. Schon 2020 erhielt Ingels den Ehrenpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises als weltweit führender Visionär der nachhaltigen Architektur. Denn so, die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis auf ihrer Seite: „An Ingels’ Werk wird sein großes Interesse an der vollständigen Einbeziehung der Gesellschaft und der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit deutlich, welches ihm Anerkennung weit über die Architekturszene hinaus eingebracht hat. So sind seine Gebäude nicht nur architektonisch spektakulär und schaffen neue Möglichkeiten für Interaktion, sondern setzen auch neue Maßstäbe in puncto Nachhaltigkeit.“

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Credits: MVRDV (1, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14), Planungsbüro Bunker/Matzen Immobilien (2, 4, 5, 6, 7), Rasmus Hjortshoj (3, 15, 17), Bjarke Ingels Group (16, 19), Søren Aagaard (18)