Florian Jöckel sitzt auf einem bunt bemalten Sportfeld. Am Mainufer hat er einen Urban Sports Park gestaltet.

„Leerstand ist völlig Banane.“

Frankfurt am Main hat sich einen Namen als globale Finanzmetropole gemacht. Wie aber ist es um das kreative Leben in der Stadt bestellt? Gibt es genug Freiräume für Kreative oder werden diese durch die Gentrifizierung verdrängt? Wir haben mit einem gesprochen, der es wissen muss. Florian Jöckel, Gründer der Begegnungsstätte Massif Central, erzählt uns im Gespräch, warum kreative Freiräume im urbanen Raum so wichtig sind, wie sie entstehen können und welche Ideen er für die Stadt der Zukunft hat.

Florian Jöckel
Links: Ein MINI parkt vor dem Massif Central in Frankfurt am Main. Rechts: Florian Jöckel als Teilnehmer bei einem Panel von THE SOONER NOW.

Gemeinsam mit dem ZEIT Magazin hat THE SOONER NOW im Juli 2022 zu einer Diskussionsrunde in Frankfurt am Main zum Thema „Haben wir genug Platz für kreative Freiräume?“ ins Massif Central eingeladen. Neben Florian Jöckel sprachen auch andere kreative Stadtgestalter auf dem Panel. Foto: Andreas Henn.

Du bist extrem umtriebig und engagierst Dich sehr in und für Frankfurt am Main, wo Du seit 2001 lebst. Warum und wie sieht dieses Engagement aus?

Florian Jöckel: Ich liebe Frankfurt, ich lebe mittendrin und das ist einfach meine Stadt. Deswegen habe ich den Antrieb, hier Sachen zu machen, die generell einen Mehrwert bringen und das Miteinander verbessern. Frankfurt ist eine Finanzmetropole, die nicht wahnsinnig viel Platz für Subkulturen, urbane Intervention oder Kunst im städtischen Raum bietet. Den wollen wir aber schaffen. Um das zu erreichen, habe ich im Laufe der Jahre so einige Projekte angeschoben. Dadurch konnte ich viele Leute kennenlernen und gute Kontakte zu den Dezernaten, Behörden und Ämtern der Stadt knüpfen. Das hat es möglich gemacht, außergewöhnliche Ideen zu realisieren. Zuletzt haben wir zum Beispiel auf einer rund 400 Meter langen Fläche am Mainufer einen Urban Sports Park gebaut. Diese Fläche ist vorab von der Stadt immer wieder gesperrt worden. Es gab kein Nutzungskonzept. Das haben wir erarbeitet, dann ein Kunstprojekt aufgegleist und dieses mit Sport kombiniert. Eine Frankfurter Designerin hat für den Boden ein Muster entworfen, auf dem die Sportfelder entstanden sind. Bei der Gestaltung haben wir auch Schulen miteinbezogen und mit den Kids zusammengearbeitet. So ist ein cooler Streetart-Park, eine Begegnungsstätte für alle, in zentraler Lage entstanden.

Florian Jöckel im Außenbereich des Massif Central, im Hintergrund ein bunt bemaltes Wandbild.

Florian Jöckel initiiert und unterstützt diverse Kunstprojekte in Frankfurt am Main und schafft so Räume für Kreative. Foto: Katrin Binner.

„Entdeckst du Frankfurt in all seinen facetten, ist es die beste stadt der welt.“

Sind wir mal ehrlich: Frankfurt am Main hat es in Sachen Sympathie und Beliebtheit nicht so leicht wie zum Beispiel Hamburg oder Berlin. Wie hast Du persönlich die Stadt lieben gelernt und was gefällt Dir so gut an der Metropole, so dass Du gar nicht mehr weg willst?
FJ: Frankfurt muss man wirklich gut kennen, um es zu lieben – und das tue ich mittlerweile. Wenn Du hier keine Kontakte zu gebürtigen Frankfurtern hast, dann wird Dir die Stadt auch noch nach 20 Jahren fremd sein. Entdeckst Du dann aber Frankfurt wirklich in all seinen Facetten, ist es die beste Stadt der Welt. Die Wege hier sind kurz. Es ist urban und trotzdem bist Du schnell im Grünen. Darüber hinaus gibt es ein riesiges Angebot an Restaurants, Kultureinrichtungen, Aktivitäten und Jobmöglichkeiten von großer Qualität. Es ist eine Stadt mit vielen Möglichkeiten, die Du aber natürlich nutzen musst. Durchmogeln funktioniert nicht. Wenn Du Dich hier mit zwei Leuten zusammensetzt und eine Idee hast, dann rufen die Dich am nächsten Tag an und es geht direkt los. Das ist nicht so wie in anderen Städten, wo man erstmal zehn Jahre drüber redet.

Links: Florian Jöckel bemalt ein Sportfeld seines Urban Sports Parks. Rechts: Ein Eimer mit roter Farbe steht auf dem Boden.

Florian Jöckels neuester Streich: Auf einer Fläche am Mainufer hat der sympathische Tausendsassa gemeinsam mit seinem Team einen farbenfrohen Urban Sports Park gestaltet und damit einen neuen Treffpunkt in der Stadt geschaffen. Foto: Katrin Binner

Mit Frankfurt am Main verbinden wenige Menschen eine aktive, kreative Szene. Wer Dir zuhört, wird schnell feststellen, dass das nicht stimmt. Vieles ist in Bewegung.
FJ: Frankfurt ist eine Stadt, die komplett anders aussieht, wenn Du zehn Jahre lang nicht da gewesen bist. Hier werden ständig neue Hochhäuser gebaut. Oft ist es so, dass viele Gebäude leer stehen, ehe sie für neue abgerissen werden. Langsam aber sicher entsteht aber das Verständnis, dass Leerstand völlig Banane ist und mehr Probleme verursacht, als wenn man diesen tatsächlich übergangsweise kreativ nutzt. Wenn Du Dir Vertrauen erarbeitet hast, so wie meine Freunde und ich, dann lässt sich hier sicher mehr umsetzen als in Berlin oder in anderen Metropolen. Zur Frankfurt Fashion Week haben wir zum Beispiel Anfang des Jahres in der Schillergasse gemeinsam mit dem Fotografen Helmut Fricke eine Ausstellung kuratiert. Dafür konnten wir eine Leerstandsimmobilie in der Fußgängerzone umnutzen. Vorher haben alle gesagt: „Die kriegt ihr eh nicht“. Wir haben sie bekommen und darin die letzten zwei großen Modenschauen von Karl Lagerfeld nachgebaut. Das haben wir so beleuchtet, dass das Umfeld nach außen projiziert wurde und sich somit von der Fußgängerzone aus corona-konform anschauen ließ. Der Abriss des Hauses verzögert sich. Jetzt wollen die Besitzer, dass wir auch den Rest der Außenfläche mit Kunst bespielen. So entsteht eine Kunst-Galerie mitten in der Fußgängerzone, die 365 Tage im Jahr geöffnet ist.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Ihr Leerstand umgewandelt und so eine Umnutzung gefördert habt, ist das Massif Central. Wie ist die Idee dazu entstanden?
FJ: Die Idee zum Massif Central ist im November 2020 entstanden. Im absoluten Lockdown, als alles zu hatte. Ein Freund ist auf mich zugekommen und hat mir ein altes Druckerei-Gebäude im Nordend gezeigt. Wir hatten schon immer die Idee, einen Community-Space für Radfahrer zu machen. Das war die perfekte Location dafür. Wir haben schnell die Zusage für unsere Idee erhalten. Im Januar haben wir angefangen, zu renovieren, im Sommer waren wir fertig. Immer mehr Leute wurden neugierig und wollten sich uns anschließen. Heute sind im Massif Central ein Café, ein Bike-Service, mehrere Büro-Hubs, einige Showrooms von Modelabels und Ateliers untergebracht. Bei allem, was wir hier machen, achten wir sehr auf Nachhaltigkeit. Die Möbel haben wir selbst aus nicht mehr genutztem Material von Baustellen gebaut. Das Essen, das wir anbieten, hat Bio-Qualität und kommt aus der Region.

Links: Florian Jöckel sitzt an einem Tisch in dem von ihm gegründeten Massif Central. Rechts: Florian Jöckel hockt auf dem Boden, im Hintergrund die Fahrradwerkstatt.

Das Massif Central hat im Sommer 2021 in einem ehemaligen Druckereigebäude eröffnet und ist schnell zu einer kulturellen Begegnungsstätte in der Stadt geworden. Das Gebäude soll bald abgerissen werden, aber Florian Jöckel ist sicher, dass es ein Massif Central 2.0 geben wird. Foto: Katrin Binner.

„Das Jetzige massif central ist eine blaupause für alles, was folgen wird.“

Florian Jöckel an der Bar des Massif Central.

Florian Jöckel schafft mit seinen Projekten nicht nur Raum für Kreative. Er bringt auch Menschen zusammen und fördert so den Austausch sowie das Gemeinschaftsgefühl. Foto: Katrin Binner.

Die Zeit des Massif Central ist begrenzt, das Gebäude soll in naher Zukunft abgerissen werden. Ihr habt so viel Herzblut in das Projekt gesteckt. Besteht trotzdem die Hoffnung, dass es dennoch weitergeht?

FJ: Die Chance, dass das Gebäude stehen bleibt, liegt bei Null. Dieses Ding, so wie es als Gesamt-Kunstwerk ist, wird verschwinden. In den vergangenen anderthalb Jahren hat sich aber so vieles ergeben, dass es ganz sicher ein Massif Central 2.0 geben wird. Auch wieder eins, das für eine Menge Aufsehen sorgen wird. Denn früher hieß es immer, so etwas wie das, lässt sich in der Innenstadt von Frankfurt nicht umsetzen. Wir haben gezeigt, dass es mit der richtigen Unterstützung und der passenden Immobilie doch geht – und angenommen wird. Das jetzige Massif Central ist damit die Blaupause für alles, was folgen wird.

Du bringst durch das Schaffen von kreativen Begegnungsstätten die Menschen in der Stadt näher zusammen. Machst Du das auch, um der Anonymität und Einsamkeit in der Großstadt entgegenzuwirken?
FJ: Das ist richtig. Einsamkeit kannst Du mithilfe von kreativen Projekten entgegenwirken, weil sie die Leute neugierig machen und damit raus auf die Straßen locken. Außerdem sorgen sie für Gesprächsstoff und fördern den gegenseitigen Austausch. Die einen finden es toll, die anderen regen sich auf. Es entsteht ein Diskurs. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kreativität unterm Strich immer sehr positiv von den Menschen in der Stadt aufgenommen wird. Und das erzeugt ein gutes Gefühl. Dadurch kann sich eine Gemeinschaft entwickeln, die es davor gar nicht gab. Und wenn dieser kreativ gestaltete Ort dann auch noch genutzt wird, profitieren alle davon.

Links: Eine Projektion des Logos von Florian Jöckels Cycling-Community. Rechts: Florian Jöckel stützt sich auf ein gelbes Fahrrad.

Florian Jöckel schiebt nicht nur kreative Projekte an, sondern auch sportliche. So hat er 2012 das Guilty76-Racing-Team gegründet – eine beliebte, internationale Cycling-Community. Foto: Katrin Binner.

Lass uns zum Abschluss einen Blick in die Zukunft werfen: Hast Du eine Vision, was die Stadt der Zukunft ihren Bewohner:innen bieten muss?
FJ: In meiner optimalen Stadt der Zukunft wohnen arme und reiche Leute eng beieinander in den gleichen Vierteln. Was aktuell in keiner Metropole möglich ist, weil Wohnraum viel zu teuer geworden ist. Die Innenstädte veröden regelrecht. In meiner Zukunftsstadt entsteht in den Fußgängerzonen mehr Platz für Wohnungen. Denn es wird keine mehrstöckigen Kaufhäuser mehr geben. Nur die ersten beiden Etagen dürfen wirtschaftlich genutzt werden, in den restlichen Stockwerken leben die Menschen. Das Zentrum ist dadurch belebt bis in die späten Abendstunden und zudem verkehrsberuhigt. Freiwerdende Parkplätze gehen an die Gastronomie und an lokale Läden. Wer eine Wohnung ohne Balkon hat, bekommt die Chance, sich abends mit Freunden nach draußen zu setzen. Wenn die Innenstädte lebenswerter werden, wirkt das der Landflucht entgegen. Es gibt weniger Staus, weil nicht mehr so viele Menschen morgens in die Stadt reinfahren und abends wieder raus. Außerdem besinnt man sich in meiner Wunschstadt wieder stärker auf lokale Produkte und Qualität. Es wird weniger, aber dafür hochwertiger konsumiert. Und natürlich arbeitet jeder und hat eine Aufgabe. Diese Vision der Stadt der Zukunft ist hoffentlich irgendwann bald Realität, damit ich sie selbst erleben kann.

Das The Sooner Now Panel im Massif Central: Gäste in der Location.

Bei dem Panel von THE SOONER NOW und dem ZEIT Magazin wurde nicht nur auf dem Podium diskutiert. Im Anschluss gab es die Gelegenheit, sich mit den Panel-Teilnehmern auszutauschen. Damit war Florian Jöckel gleichzeitig Gastgeber und Gast.

The Sooner Now
Line
Florian Jöckel

Foto: Katrin Binner.

Florian Jöckel

geboren in Langenargen am Bodensee, lebt seit über 20 Jahren in Frankfurt am Main. Er arbeitete lange als Konzertagent und bis heute als Künstlermanager. Als er von jetzt auf gleich mit dem Rauchen aufhörte, weckte das seine Leidenschaft für den Radsport. 2012 gründete er mit dem Guilty76-Racing-Team eine stetig wachsende, internationale Cycling-Community. Regelmäßig sorgt er mit kreativen Kunstprojekten für Aufmerksamkeit. Zuletzt gründete er das Massif Central – eine kulturelle Begegnungsstätte für Jedermann in der Frankfurter Innenstadt.

Line